Ein Papst tritt zurück
Benedikt XVI. - zwischen Glaubensmut und Angst vor der Moderne
16. April 1927 um 4h15 in Marktl am Inn
Als Papst Benedikt zum 28. Februar 2013 völlig überraschend seinen Rücktritt ankündigte, hatte er vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben mit der Tradition der katholischen Kirche gebrochen. Bisher galt der Grundsatz: Ein Papst kann nicht zurücktreten. Im Gedächtnis der Welt dürfte noch das Bild seines Vorgängers Johannes Paul II. sein, der bis zu seinem Tod trotz seiner schweren Krankheit, die ihn völlig unfähig hat werden lassen, sein Amt auszuführen, Papst geblieben ist. Benedikt XVI. wollte sich und der Kirche diese Situation ersparen. Dieser Schritt war gerade für ihn sehr ungewöhnlich und ist Grund genug, an Hand seines bisherigen Handelns nach einer Erklärung zu suchen.
Als am 19. April 2005 nach relativ kurzem Konklave der deutsche Kardinal Joseph Ratzinger zum 265. Papst gewählt wurde, sagten nicht wenige Katholiken: "O Gott, bitte doch nicht der!" Ratzinger hatte sich in den 24 Jahren als Glaubenswächter den Ruf erworben, ein kompromißloser Kämpfer gegen jede Form der Erneuerung in der Kirche zu sein, ein Gegner des "Aggiornamento", wie es seinerzeit Papst Johannes XXIII. gefordert hatte, der mit diesem Ziel das 2. Vatikanische Konzil einberief.
Ratzinger war damals Konzilsberater zusammen mit Theologen wie Karl Rahner und Hans Küng und galt als liberal. Aber in seiner langen Amtszeit seit 1981 als Präfekt der Glaubenskongregation an der Seite des polnischen Papstes Johannes Paul II. erweckte er eher den Eindruck eines fanatischen Traditionalisten, der zu den vorkonziliaren Verhältnissen zurück wollte, und erwarb sich bei progressiven Katholiken den Beinamen "Rottweiler Gottes". Erwähnt sei hier nur die Verurteilung der Theologie der Befreiung in Südamerika und die Amtsenthebung des Theologen Hans Küng, für die beide Ratzinger die theologische Begründung lieferte.
Als oberster Glaubenswächter war Ratzinger ein rücksichtsloser Verteidiger der Glaubenssubstanz, aber in seinem Amt als Papst hatten nicht wenige innerhalb der Kirche den Eindruck, daß er sich vielleicht etwas gewandelt habe. War aus dem "Rottweiler Gottes" inzwischen ein verständisvoller Seelsorger geworden? Zumindest versuchte er, gemäß seinem Amtstitel "Pontifex maximus" Brücken zu bauen. Aber er zeigte gerade darin, etwa in seiner Regensburger Rede gegenüber den Muslimen, in seinem Angebot an die verheirateten Priester der anglikanischen Kirche und vor allem in seinem Versuch, sich mit den von der Kirche exkommunizierten Pius-Brüdern zu versöhnen, ein erschreckendes Maß an Weltfremdheit. Benedikt hat in seinem Verhalten eine kämpferische und eine unsichere Seite, die beide besonders stark ausgeprägt sind. Ein Blick in sein Horoskop läßt diese Zwiespältigkeit seines Charakters sehr gut erkennen:
Jupiter in den Fischen am AC zeigt Benedikt XVI. als religiösen Kämpfer, der durch das Quadrat zu Ceres (Stier-Energie) auf 21° Schütze am MC eine unverbrüchliche Sicherheit in Glaubensdingen besitzt und für die Erhaltung der Glaubenssubstanz (so wie er sie versteht) eintritt. Der Papst machte zwar persönlich nicht den Eindruck eines kämpferischen Menschen. Aber immer dann, wenn seiner Ansicht nach die Glaubenssubstanz (Ceres am MC mit Quadrat zu Jupiter in den Fischen) auf dem Spiel stand, entwickelte er eine erstaunliche Aggressivität.
Seine Waffe war dabei das theologische Argument. Wir würden hier eine Betonung des Jungfrau-Zeichens oder des 6. Hauses erwarten, aber der dort befindliche Neptun erklärt seine wissenschaftlichen Fähigkeiten nicht. Es ist vielmehr das genaue Halbsextil zwischen Uranus und Chiron (Jungfrau-Energie), die den kritischen und originellen Denker beschreibt, was sehr gut zu seiner lange ausgeübten Funktion als Professor der Theologie paßt, zumal Chiron Spitze 2 auch für Besitz (des Wissens) steht.
Der aufsteigende Mondknoten am IC und Pluto im Krebs weisen ihn als einen Mann der Kirche aus und in Verbindung mit dem Halbsextil zwischen Mondknoten und Venus Spitze 3 auch als eine Persönlichkeit, der das schriftstellerische (und diplomatische) Wort zu Gebote steht.
Bemerkenswert ist das Große Trigon zwischen Sonne, Neptun und MC (Saturn-Prinzip), das man vielleicht als Willen (Sonne) zum Verzicht (MC Trigon Neptun) interpretieren könnte, womit sich religiös gesehen eine selbstverständliche (Großes Trigon) Gelassenheit ergibt, die gut zu der vertrauensvollen Haltung des Jupiter in den Fischen paßt. Andererseits zeigt gerade die Verbindung der Fische- mit der Steinbock-Enerigie, daß der HE seine Religiösität nur in einem traditionellen Glaubenssystem leben wollte, das dogmatisch fest und beständig ist.
Der isolierte Saturn im Schützen und Haus 9 betont diese gehorsame Einstellung, er macht aber seinerseits noch einmal deutlich, daß der Papst kein wirklich ehrgeiziger Mensch war, was Ratzinger bei seiner Wahl zum Papst mehrfach betont hatte. Benedikt hat nicht durch persönlichen Ehrgeiz (das wäre eine Verbindung der Steinbock-Energie mit der Wassermann-Energie), sondern durch Gehorsam in der katholischen Kirche Karriere gemacht.
Soweit gesehen haben wir hier ein Horoskop vor uns, wie man es für einen religiösen und gelehrten Menschen erwarten würde. Das Horoskop des Papstes zeigt aber darüber hinaus eine durchaus ungewöhnliche Spannung, die durch zwei T-Quadrate mit vollkommen gegensätzlichem Charakter symbolisiert wird. Diese T-Quadrate wird allerdings nur derjenige erkennen, der die Ephemeride von Koch/Rindgen für die sensitiven Punkte Lilith und Priapus benutzt, die seit ein paar Jahren auf dem Markt ist. Nach meinen Erfahrungen sind beide Punkte für die Interpretation von großer Aussagekraft, was sich gerade am Horoskop des amtierenden Papstes zeigen läßt.
Lilith (das Mondapogäum, also der erdfernste Punkt der Mondumlaufbahn) symbolisiert im Horoskop das extrem (Pluto) uranische Prinzip (Distanz), das zusätzlich gefühlsmäßig (Mond) gefärbt ist. Es könnte als "starker eigenwilliger Drang" oder einfacher als "Leidenschaftlichkeit" übersetzt werden. Priapus (das Mondperigäum, also der erdnächste Punkt der Mondumlaufbahn) ist dagegen das extrem (Pluto) neptunische Prinzip (Nähe), also eine Mischung aus Mond, Neptun und Pluto, und könnte als "ungewöhnliche Sensibilität" oder auch "extreme Hilfsbereitschaft" beschrieben werden. Mit Lilith und Priapus wiederholt sich also auf der Mondebene die Grundspannung eines jeden Horoskops, die immer zwischen Uranus und Neptun liegt und die deshalb auch von diesen Polen ausgehend interpretiert werden muß.
Die genaue Position der Lilith im Horoskop des Papstes nach der Ephemeride von Koch/Rindgen ist 0°56 in Waage. Damit haben wir eine exakte Opposition zum Merkur (der seinerseits in Konjunktion mit Uranus steht und damit auch eine Verbindung zu Chiron bekommt) und ein genaues Quadrat zum Mars am aufsteigenden Mondknoten. Diese Konstellation kann man gar nicht anders übersetzen als leidenschaftlichen (Lilith) kommunikativen (Merkur) Kampf (Mars) innerhalb der Kirche (Mondknoten) für die eigenen Überzeugungen (Uranus Halbsextil Chiron). Es ist durchaus verständlich, daß der Präfekt der Glaubenskongregation mit diesen Energien zu einer Art "Rottweiler Gottes" wurde. Die genaue Position von Priapus ist 14°44 im Widder. Es ist typisch, daß die beiden Punkte nicht direkt einander gegenüber liegen, weil die Ellipse des Mondes durch den Einfluß der Sonne chaotisch gestört wird. Durch Priapus wird ein zweites T-Quadrat konstituiert, das nicht weniger extrem in seiner Wirkung eingeschätzt werden muß. Priapus steht genau dem Mond in der Waage gegenüber und bildet mit ihm zusammen ein exaktes Quadrat zu Pluto im Krebs Spitze 5.
Von diesen zwei Seelen in der Brust des Kardinal Ratzinger hat sich offensichtlich zunächst die Lilith-Seele durchgesetzt. Menschen, die nichts von Astrologie wissen, würden sagen, daß das mit dem Amt zusammenhängt, das Ratzinger solange inne hatte. Da Ratzinger für die Reinerhaltung des Glaubens und der Tradition zuständig war, mußte er ja gegen alle Neuerer energisch durchgreifen, die seiner Ansicht nach den Glauben aufweichten oder verfälschten. Er konnte sich gar nicht anders verhalten. Jetzt, da er Papst geworden ist, kann er sich seiner anderen Rolle als Seelsorger zuwenden. Astrologen würden aber einwenden, daß es so einfach nicht geht. Den Erwartungen von außen müssen entsprechende Energien von innen gegenüber stehen, sonst könnte das erwartete Verhalten gar nicht geleistet werden. Das aggressive T-Quadrat ist dafür die richtige astrologische Erklärung.
Wie aber steht es mit der weichen Seite Benedikts? Welche Rolle hat seine empfindsame Seele gespielt? Wurde sie von Ratzinger als Helfer in der Rolle des einfühlsamen Seelsorgers gelebt? Es ist bekannt, daß er als Priester zu seiner Zeit als Theologieprofessor in Münster keine nennenswerten seelsorgerliche Funktionen ausgeübt hat. Das Helfen lag Ratzinger offenbar nur in der Rolle des akademischen Lehrers.
Aber Hans Küng hat berichtet, daß Ratzinger später als Professor an der Uni Tübingen mit den 68-er Studentenprotesten in Berührung gekommen ist. Die dabei üblichen Übertreibungen und Radikalismen der Studenten sollen einen nachhaltigen Schrecken bei ihm ausgelöst haben. Hier wurde offensichtlich seine sensible (Priapus) Seite angesprochen, aber in Form der Unsicherheit.
Psychologisch interpretiert könnte man vielleicht sagen, daß Ratzinger diese Seite damals als geheime Angst erlebt hat, nämlich daß die Glaubenssubstanz der Kirche (Ceres am MC mit Quadrat zu Jupiter in den Fischen) in der modernen Zeit verloren gehen könne.
Diese Angst kann bei Ihm durch die Energieverbindung von Priapus, Mond und Pluto durchaus panische Züge angenommen haben, wodurch die aggressive (Lilith) Seite seiner Persönlichkeit zusätzliche Energien als Verstärkung aufgenommen hat. (Eine solche Steigerung der aggressiven Energien durch Angst beschreibt z.B. der Psychologe Fritz Riemann in seinem Buch "Grundformen der Angst".) Auf diesem Hintergrund wird verständlich, daß Ratzinger bereit war, dem Ruf des Papstes Johannes Paul II. zu folgen und als Wächter an die Spitze der Kongreation zur Reinerhaltung des Glaubens zu treten. Aus dem liberalen Konzilstheologen wurde so der Großinquisitor.
Von dieser Rolle ist Ratzinger auch als Benedikt XVI. nicht grundsätzlich abgewichen. Er blieb der traditionelle Theologe auf dem Stuhl Petri, dem es vor allem um die Bewahrung der offenbarten Wahrheit ging. Das Papstamt mit seinen organisatorischen Anforderungen hat ihm nicht gelegen und er wußte das. Als gehorsamer Diener seiner Kirche (Großes Trigon zwischen Sonne, Neptun und MC) hat er aber die schwere Bürde auf sich genommen, obwohl er sich viel lieber in eine Studierstube zurückgezogen hätte. Er war mit seiner ängstlichen und zurückhaltenden Art sicher denkbar ungeeignet, eine Weltkirche zu führen, was zuletzt besonders die Vatileaks-Affäre deutlich gemacht hat. Er hatte auch nicht die Kraft, sich gegen die Kurie, die vatikanische Bürokratie, zu behaupten. Aber er hat sich bemüht, in großer Demut und Bescheidenheit (Neptun in Jungfrau und Haus 6) seine Pflichten zu erfüllen.
Es konnte dabei nicht ausbleiben, daß er mit der ihm eigenen Weltfremdheit (ebenfalls Großes Trigon zwischen Sonne, Neptun und MC) die falschen Akzente setzte. Die moderne Welt war ganz und gar nicht seine Welt. Er sah zwar ihre Schwächen, als er ihr die "Diktatur der Relativität" ins Stammbuch schrieb, aber er war unfähig, an den positiven Seiten, etwa den Menschenrechten, anzuknüpfen und einen Dialog auf Augenhöhe zu beginnen. Sein Mut blieb rückwärts gewandt.
Als er seine Kräfte schwinden sah (vermutlich während des lang anhaltenden Transits des Neptun nahe 0° Fische über viele Punkte seines Horoskops, vor allem aber mit dem Halbquadrat des Neptun auf Priapus in Widder), hat er sich zum Rücktritt durchgerungen. Mit dieser Tat, die ganz von der sensiblen Seite seines Wesens diktiert wurde, hat er der Kirche zum Schluß vielleicht einen größeren Dienst erwiesen, als mit seinen harten Entscheidungen zur Verteidigung des Glaubens. Er hat damit das Amt des Papstes gewissermaßen entmythisiert, indem er mit seinem Rücktritt bezeugte, daß dieses Amt bei aller Besonderheit ein Amt bleibt, das in menschlicher Schwäche ausgeübt wird. Das ins Bewußtsein gerückt zu haben, wird das bleibende Verdienst Benedikts sein.
Rolf Freitag, Schule für Psychologische Astrologie in Heiligenhaus, 2013
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Zur Rede des Papstes vor dem deutschen Bundestag im September 2011
Transaktionsanalytisch gesehen operiert der Papst in seiner Rede als "rebellisches Kind". Er ist ein ängstlicher Verfolger. Diese Formulierung wird manchen Leser sicher als unpassend erscheinen, denn der Papst tritt ja durchaus glaubwürdig mit Haltung und Würde auf. Er argumentiert sachlich und vergreift sich nicht im Ton. Er wendet sich auch nicht gegen verkrustete Strukturen der Vergangenheit, wie man es bei Rebellen erwarten könnte, sondern kritisiert Entwicklungen der modernen Gesellschaft. Es gibt aber viele Formen der Rebellion. Allen gemeinsam ist die Abwehr von Zumutungen und bei übergroßer Ängstlichkeit kann es sich dabei durchaus auch um die Abwehr der Gegenwart, also der modernen dynamischen Gesellschaft handeln. Das ist die Rebellion des Papstes.
Benedikt XVI. hat sich in seiner Rede vor dem deutschen Bundestag gegen Positivismus und Relativismus positioniert. Das ist offenbar ein Herzensanliegen von ihm, wie z.B. auch seine Regensburger Rede bezeugte: Es geht ihm um das notwendige Zusammengehen von Glaube und Vernunft. Soweit wäre meiner Meinung nach auch sein Protest gegen moderne geistige Denkrichtungen in Ordnung und aus kirchlich-religiöser Sicht sogar notwendig und verständlich. Seine übertriebene Ängstlichkeit zeigte sich aber darin, daß er es nicht wagte, konkret zu sprechen. Es gab keine Weiterführung seiner grundsätzlich richtigen Gedanken.
Er sprach z.B. nicht über die praktischen Auswirkungen des Positivismus und Relativismus in Wirtschaft und Gesellschaft. Er kritisierte nicht die Unrechtsstrukturen des Eigentums, die die Gesellschaften und die Welt in Arm und Reich spalten, nicht die Entmachtung der Politik durch die internationale Finanzwirtschaft, nicht die Entdemokratisierung der Parlamente durch das Lobbyistentum, nicht die Abhängigkeit der Parteien in Wahlkämpfen vom großen Geld und nicht die gescheiterte Marktgläubigkeit des Neoliberalismus. Er enttäuschte auch die evangelische Kirche in Fragen der Ökumene und bot keine Lösungen für innerkirchliche Probleme an. Einzig das ökologische Thema fand eine kurze Erwähnung.
Der Papst hielt sich bei aller Rebellion ängstlich an den Prinzipien der theologischen Tradition fest und blieb im Elfenbeinturm der Wissenschaft. Dabei hätte ihm vor allem die Tradition der Sozialenzykliken der katholischen Kirche die Möglichkeit gegeben, viel mehr zu sagen. Aber ihm fehlte offenbar der Mut, sich so weit vor zu wagen. Auch ein Heiliger Vater kann ein "ängstliches Kind" sein.
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